Schweigen, Geld & die Inquisition
Der Regensburger Bischof Müller ist neuer Vorsitzender der Inquisition.In seinem Bistum hagelte es während seiner Amtszeit Abmahnungen und Unterlassungserklärungen für jene, welche von und über sexuelle übergriffe auf Kinder innerhalb der katholischen Kirche berichteten.
»anti-katholische Medienlawine»
Auslöser war ein besonders drastischer Fall von Kindesmissbrauch: ein wegen sexueller Übergriffe auf Minderjährige verurteilter Pfarrer wurde später in der Jugendarbeit wieder rückfällig und sitzt derzeit in einer psychiatrischen Anstalt [eine Zusammenfassung des Falls findet sich am Ende [↓] dieses Artikels].
Dieser und auch andere Vorfälle wurden 2010 vom Magazin Der Spiegel aufgegriffen:
Einen Angriff wie diesen konnte Bischof Müller nicht auf der katholischen Kirche sitzen lassen, und antwortete mit folgender Stellungnahme:
» … wieder einmal eine die anti-katholische Medienlawine losgetreten«
»
Missbrauchte Pressefreiheit lässt sich nicht mehr unterscheiden von einer Diffamierungs-Lizenz, mit der man scheinbar legal all diejenigen Personen und Glaubensgemeinschaften ihrer Ehre und Würde beraubt, die sich dem
totalitären Herrschaftsanspruch des Neo-Atheismus und der Diktatur des Relativismus nicht fügen«
[
Volltext]
↓
Doch nicht nur der Artikel im Spiegel erregte scheinbar den Unmut des Bischofs: als auch andere Beschwerden wegen sexueller übergriffe in seinem Bistum einlangten wurde mit Unterlassungserklärungen und Abmahnungen geantwortet. Wie in diesem Fall:
Eine Haushälterin erhob Vorwürfe gegen ihren Pfarrer. Er soll mit ihrem Auto nach Tschechien auf den Straßenstrich gefahren sein und dort Buben aufgesucht haben, außerdem soll er eine Art Ziehsohn gehabt haben, einen
16-jäigen Schüler, der bei
ihm Tag und Nacht ein- und ausging. Auch im Schlafzimmer des Pfarrers.
[
Quelle]
Der Gang zum Ombudsmann des Bistums resultierte in Geldstrafe in € 1000 plus Anwaltskosten und der Aufforderung zur Unterzeichnung einer Unterlassungserklärung – womit schriftlich das Unterlasssen weiterer Vorwürfe strafbar gemacht werden sollte [die ganze Geschichte findet sich über diesen Link.
Blogger vs. Kirche
Der folgende Textabschnitt erschien in dieser Fassung auf regensburg-digital.de.
»…Opfer eines pädophilen Pfarrers in Riekhofen erhielten Schweigegeld. Das Bistum Regensburg hat das stets bestritten. Es habe keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Zahlung und dem vereinbarten Schweigen gegeben, behauptet das Bistum.
Dafür gab es eine Abmahnung gegen den Autor sowie die Aufforderung zur Unterzeichnung einer Unterlassungserklärung, welche die Formulierung »Opfer eines pädophilen Pfarrers in Riekofen erhielten Schweigegeld« untersagen würde [Quelle].
Die Formulierung wurde abgeändert, traf jedoch nicht den Geschmack des Bistums. Über eine einstweilige Verfügung wurde sowohl die Verwendung der neuen Formulierung als auch die vorhergehende untersagt.
Der Blogger ging gegen das Urteil erfolgreich in Berufung. Der Text findet sich nun wie folgt:
Ein Opfer des pädophilen Pfarrers von Riekofen
erhielt Geldzahlungen, die nicht nur in den Augen unserer Redaktion den Beigeschmack einer Schweigegeldzahlung hat…
[
Quelle]
Lese nur ich in der neuen Fassung Häme heraus :)
Abmahnung für »missbrauchte Pressefreiheit«
Der Blogger Stefan Niggermeier berichtete über die untersagte Berichterstattung in diesem Blogeintrag und wurde ebenfalls abgemahnt.
Zuerst noch zur ersten Abmahnung: auf Anfrage des Bloggers antwortet der Sprecher des Erzbistums:
Grundsätzlich ist aber festzustellen, dass bei massiven ehrabschneidenden und rufschädigenden Falschbehauptungen immer in angemessener Weise reagiert werden muss.
[
Quelle]
In diesem Eintrag beschreibt der Blogger, dass auch er für die Berichterstattung über die Berichterstattung und vor allem die Abmahnung eine Abmahnung erhielt. Nachdem er sich davon weiters nicht beeindruckt zeigte und auch die Unterlassungserklärung nicht erklärte, folgten von Seite des Bistums auch keine weiteren Schritte mehr. Die Sache dürfte sich im Sand verlaufen haben [Quelle].
Die Inquisition heute
Die Kongregation für den Glauben wurde 1542 gegründet, um die Kirche vor Irrlehren zu schützen. Eine Irrlehre ist alles gegen die Auffassung der Kirche Geäußerte. Alles. Von wissenschaftlichen Erkenntnissen die der Meinung vom Mutter Kirche entgegengesetzt sind über allgemeinen Zweifel an ihren Lehren bis hin zum Kirchenaustritt. Andere Auffassungen des Glaubens oder gar andere Religionen sind dann das äußerste Limit.
Zudem sollte das Gründungsdatum 1542 nicht darüber hinwegtäschen, dass die Kirche auch zuvor mit Feuer & Flamme bei der Verfolgung Andersdenkender zur Sache ging. G
»totalitäre Herrschaftsanspruch des Neo-Atheismus und der Diktatur des Relativismus«
heißt das weiter oben [↑] in einer Aussendung aus dem Jahr 2010 von Bischoff Müller. Der dieses Jahr (2012) als Chef der Glaubenskongregation nach Rom berufen wurde. Dessen Vorgänger Josef Ratzinger a.k.a. Papst Benedikt XVI. ist. Mehr dazu in einem späteren Blogeintrag. Die Sache ist zu groß für einen Artikel.
Schweigen ist Gold wert
1999 verging sich der Pfarrer an zwei Minderjährigen. Die Eltern der Beiden gingen nicht zur Polizei, sondern zu den Vorgesetzten des Pfarrers. Dort wurden sie zur Unterzeichnung einer Stillschweigevereinbarung überredet:
»Im wohlverstandenen Interesse der Kinder und auf ausdrücklichen Wunsch der Eltern soll Stillschweigen gewahrt werden.»
Insgesamt sollen € 6500 vom Pfarrer an die Opfer bezahlt worden sein [Quelle], durch den Verzicht auf eine Anzeige sollte der Fall aus der Welt geschaffen sein. Die Mutter der Beiden verlangte zusätzlich eine Garantie, dass der Täter nicht mehr in der Jugendarbeit eingesetzt werden würde. Als die zurückgewiesen wurde, wollte die Familie sich die Möglichkeit einer späteren Anzeige vorbehalten, welches wie folgt abgewiesen wurde:
Da der künftige seelsorgliche Einsatz von Herrn K. allein im Kompetenzbereich des bischöflichen Ordinariates verbleiben soll, wobei bei Art und Zeitpunkt des Einsatzes die Vorfälle berücksichtigt werden, können wir es nicht akzeptieren, dass … eine Anzeige vorbehalten bleibt
[
Quelle]
Zur späteren Anzeige kam es über eine Bekannte des Familienvaters. Diese führte zu einem Gerichtsprozess, in welchem der Geistliche zu einer dreijährige Bewährungsstrafe verurteilt wurde. Kostenersatz für die Therpie der Kinder wurde bis 2008 weder durch den Pfarrer noch dessen Dienstgeber bereitgestellt[Quelle].
Ein Gerichtsgutachter attestierte eine »Kernpädophilie«; die Bewährungsauflagen verboten ein in Kontakt treten des Verurteilten mit Kindern.
Der Weg zum Wiederholungstäter
Kurz nach dem Prozess wurde der Vorbestrafte in eine andere Pfarre versetzt, wo er entgegen den Bewährungsauflagen, welche sein Engagement in der Jugendarbeit wieder auf – mit Ausflüge nach Hamburg, Rom, etc. [Quelle].
Anstatt den Kinderschänder zu kastrieren, öffentlich zu blamieren, zu häuten oder zu verbrennen, schickte der Oberhirte ihn in Therapie und gab ihm eine zweite Chance. Hätte er ihn damals standrechtlich erschossen, wäre es nicht zu einem Rückfall gekommen. Aber in einer zivilisierten – erst recht in einer christlichen – Gesellschaft ist die todsichere Methode nicht immer die beste.
[zitiert aus einem
Artikel auf »
kreuz.net – katholische Nachrichten«]
2007 erfuhr der Vater der ersten beiden Missbrauchsopfer, dass der ehemalige Täter wieder in der Jugendarbeit beschäftigt ist und brachte den Fall ins Rollen. Als die Vorgeschichte des neuen Gemeindepfarrers bekannt geworden war, wurde eine Psychologin in die Pfarre bestellt, welche Interviews mit den Ministranten führte.
2008 wurde der Pfarrer zu drei Jahren Haft wegen schweren sexuellen Missbrauchs im Wiederholungsfall sowie sofortiger und zeitlich offene Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt aus. Da durch das Wiedereinsetzen in der Jugendarbeit die Straftaten ermöglicht wurden, »habe sich bei der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten ausgewirkt»
[Quelle].
Den Eltern des damals zehnjährigem Opfers wurde von Seiten des Pfarrers ein Schmerzensgled in der Höhe von € 8000 angeboten. [Quelle]
Mein Gutachter vs. Dein Gutachter
Mit Publikwerdung des Falles ergab sich die Frage, wer Verantwortlich und wer Schuld für das Einsetzen eines Vorbestraften Pädophilen in der Jugendarbeit auf sich nehmen solle. Von Seiten der Justiz berief man sich auf das oben bereits erwähnte, negative Gutachten [↑]. Von Seiten der Kirche berief man sich auf eine Stellungnahme eines Psychoanalytikers:
Bei diesem hatte der Pfarrer nach seiner Verurteilung eine mehrjährige Behandlung begonnen, an dessen Ende ihm keine pädophile Neigungen bescheinigt wurden [Quelle].